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Professjubiläum

Was klingt nach, wenn man auf 50 oder gar 60 Jahre Kapuzinerleben zurückblicken kann? Was war prägend, erfüllend oder vielleicht auch deprimierend? Br. Iso Hess, Br. Damian Wetter und Br. Justin Thalmann feierten am Franziskusfest ihr Ordensjubiläum. Ich habe nach ihren Erfahrungen gefragt und mich bemüht, möglichst im Originalton aufzuschreiben, was sie erzählt haben.

Für Br. Iso war es schwierig, Worte für seine Erfahrungen zu finden. Immer mehr muss er die Worte suchen. Er leidet darunter, dass sein Geist ihn oft im Stich lässt. So stimmen in seinem Brevier die Seitenzahlen meistens nicht mit den Zahlen an der Anschagtafel überein. Manchmal kommt ihm auch das falsche Buch in die Hände… „Es ist vieles anders, nicht mehr so, wie es richtig wäre. Man hat einfach alles geändert und ich komme da nicht mehr mit…“
Br. Iso hat sich 50 Jahre lang mit unendlicher Geduld um kranke Brüder gekümmert. Jetzt hofft er, dass seine Mitbrüder ebenso Geduld für ihn aufbringen.

„Ich kann nicht so einfach sagen, wie ich dazu gekommen bin, Kapuziner zu werden. Ich habe ja nicht studiert. Ich habe ja nicht einmal eine Lehre gemacht. Ich habe einfach bei meinem Vater in der Stickerei in Jonschwil mitgearbeitet. Aber das hatte ja keine Zukunft mehr. Das konnte man voraussehen. Als Jugendlicher habe ich in der Jungwacht mitgemacht. Da habe ich einen lebendigen Glauben erfahren. Der Glaube war mir nicht gleichgültig. Und ich habe auch irgendwie eine innere Berufung gespürt. So bin ich mit 20 Jahren ins Kloster gegangen.
Vier Jahre war ich in Luzern Hilfsbruder bei den Kranken. Dann kam ich nach Solothurn. Es war mein Wunsch, dass ich mich auch dort um die Kranken kümmern durfte. Ich wurde für 4 Monate nach Sursee ins Spital geschickt. Dort lernte ich das Nötigste zum Pflegen. Ich war dann 50 Jahre in Solothurn Krankenbruder. Ich hätte gerne einmal gewechselt. Das schon. Aber ich habe eingesehen, dass ich das Gleiche weitermachen muss. Und vielleicht sollte ich es noch ein wenig besser machen. Ich war ja gerne Krankenbruder. Aber den Ort gewechselt hätte ich auch gerne einmal. Es hat sich aber nicht ergeben… Vieles ist halt vom Orden her so bestimmt und so habe ich mich hineingeschickt.
Nachdem Solothurn aufgelöst wurde, bin ich nach Wil gekommen. Vorher aber durfte ich noch für ein paar Wochen nach England. Ich habe dort Bekannte. Englisch habe ich schon früh zu lernen begonnen.
Aber jetzt ist es schwer. Mehr als man meint. Man hat selber Beschwerden und es geht nicht mehr so leicht. -Mehr als man meint. Es ist einfach anders als vor dreissig Jahren. Da konnte ich Handorgel spielen, an Konzerten mitsingen, in Gesangsstunden gehen… Aber jetzt geht es nicht mehr so leicht. Mehr als man meint…“

Br. Damian ist Profi im Kartoffelschälen, Apfelmus machen und Salat rüsten. Aber immer mehr muss er spüren, wie seine Kräfte nachlassen. In letzter Zeit sieht man ihn nicht mehr so viel in der Küche. Es ist hart, im hohen Alter noch lernen zu müssen, dass der Wert eines Menschen nicht nur in seiner Arbeitsfähigkeit besteht.

„Ich habe schon mit 20 Jahren dran gedacht, Kapuziner zu werden. Aber das war noch zu früh! Ich wollte zuerst arbeiten und Geld verdienen, damit die Mutter zu leben hatte. Ich habe dann Bäcker / Konditor gelernt. In der Jungmannschaft und im Gesellenverein habe ich aktiv mitgemacht. Dort konnte ich auch religiöse Erfahrungen machen. Mit 24 Jahren bin ich dann in den Orden eingetreten. Sechs Jahre lang war ich Koch in Altdorf und Zürich.
Dann hat man mich für die Missionen angefragt. Eigentlich wollte ich für die Missionen noch etwas lernen. Aber es hat sich nicht ergeben. Ich ging nach Afrika. Ich bekam ein Jahr bei Bruder Edgar eine Einführung ins Bauen. Das war alles. Du bist einfach hineingeworfen worden. Das machst du jetzt. Und fertig. So wurde ich Baumeister. Und in der Landwirtschaft habe ich auch gearbeitet. Ich war gerne in Afrika. Aber wegen meinen Rückenproblemen musste ich nach 20 Jahren wieder nach Hause in der Schweiz. Nein, Heimweh nach Afrika hatte ich nie. Ich habe schon öfters an Afrika gedacht, aber ich habe dann auch eingesehen, dass es keine Möglichkeit für eine Rückkehr mehr gibt.
In Wil war ich dann 3 Jahre Koch und dann an verschiedenen Orten 17 Jahre Pförtner. Ich war der letzte Pförtner von Sursee. Ich bin dort sogar verewigt. Das Damiansstübli haben sie nach mir benannt.
Das Schönste in meinem Leben ist, dass ich immer die Berufung hatte. Ich hatte nie Zweifel. Dafür bin ich dankbar. Du kannst eigentlich zusammenfassend sagen: „ Lass mich o Gott nichts anderes verlangen und nichts anderes begehren, als deinen Willen zu tun.“ Das war immer mein Leitsatz. Für mein ganzes Leben. Ich war nie verbittert. Nein, absolut nicht. Ich habe immer den Weg gefunden. In Afrika und auch wieder daheim, in der Schweiz. Aber jetzt ist fertig, ich bin so müde, total kaputt, ein armer Tropf.“

Bei Br. Justin hat das Kapuzinersein schon sehr früh begonnen. Als Koch hat er in verschiedenen Klöstern gewirkt. Da die Küche bei den Kapuzinern (neben dem Inneren Chor) eine bedeutende Rolle spielt, ist er wesentlich am Wohlbefinden der Brüder mitverantwortlich.

„Ich habe mich schon mit 16 Jahren bei den Kapuzinern gemeldet. Aber sie haben gesagt: du bist noch zu jung. Lerne zuerst Koch. Sie haben mich wieder nach Hause geschickt. Und zu Hause haben sie mich ausgelacht: „Sie wollen dich nicht! Die haben dich doch durchschaut!“ Ein Jahr später habe ich mich wieder gemeldet und sie haben mich genommen. 17 Jährig. Ich musste 1 ½ Jahre lang die Kandidatur machen, weil ich halt immer noch zu jung war. Erst dann habe ich das Noviziat gemacht. Nachher kam ich nach Arth als Koch. Ich wollte von Anfang an Koch werden. Ich habe auch zu Hause gekocht. Meistens am Sonntag. Ich habe mich ja selber so eingespurt. Später habe ich es dann bereut: Du bist überhaupt zu nicht anderem zu gebrauchen, als nur zum Kochen. Bruder Guido hat mich angelehrt als Koch. Später hatte ich die Gelegenheit, die Kantonale Kochprüfung zu machen. Als ich nach Solothurn kam, musste ich für über 70 Brüder kochen.

Heute frage ich mich, wie das überhaupt gegangen ist. Bis 1981 war ich in Solothurn. Dann wollte ich wechseln. Ich wollte in eine kleinere Küche. Ich hatte unheimliche Schmerzen in den Hüften. Irgendwie sah ich keine Zukunft mehr. Ich bekam Depressionen. Lange habe ich gar nicht gemerkt, was mit mir los war. Dann kam ich auch noch in eine Glaubensnot. Das war eine furchtbare Zeit. Ich dachte: jetzt bist du im Kloster und betest und machst alles mit, und dann das…
Die Brüder haben mich getröstet: „Der Herr Jesus hat ja auch gelitten…“ Das war ein schöner Trost. Ich litt dann auch unter Suizidgedanken. Ich dachte: Du musst dich umbringen, erst dann kann sich Gott um dich annehmen. Dann erlöst er dich, lässt dich auferstehen… Theologisch so richtig fundiert! Zum Glück hat sich das aber gewandelt. Ich habe mich für östliche Religionen interessiert. Da kam ich dann zur Erkenntnis: Wenn du jetzt abbrichst, dann musst du das in einer anderen Seinsweise irgendwie durchtragen. Wir sagen dem Fegefeuer. Du musst auf eine Art daran reifen… Das habe ich mir gesagt. Ich hatte auch Mühe mit den Gelübden. Ich war einmal sehr religiös. Bin ja eigentlich aus religiösen Gründen ins Kloster gegangen.
Mein Leben war eigentlich unmöglich. Fünf Hüftoperationen, Knie, Schulter, dazu Depressionen und Glaubenskrise. -Und dann noch mein Temperament. Das habe ich von meiner Mutter. Ich habe mich oft geschämt, wenn mir mein Temperament durchgebrannt ist. Ich habe es einfach nicht in den Händen. Dann aber denke ich auch wieder: Gott hat dich ja auch so gemacht.
Und in der Eucharistiefeier, glaube ich, werde auch ich mit verwandelt, irgendwie vergöttlicht. Daran glaube ich ganz fest. Eigentlich habe ich viel zu oft ein schlechtes Gewissen gehabt. Für nichts und wieder nichts.  Und jetzt kommt immer mehr eine tiefere Religiosität. Ich bin nicht mehr so fromm. Aber irgendwie bin ich tiefer religiös geworden…“

Drei ganz unterschiedliche Lebensfragmente, die etwas von der Vielfalt der Brüder im Orden widerspiegeln. Und oft denke ich mir: Allein aus menschlicher Kraft könnte diese Unterschiedlichkeit, oft sogar Gegensätzlichkeit unserer Brüdergemeinschaft kaum zusammenhalten.
Es ist der Glaube, der zusammenhält, dass jeder einzelne Bruder in seiner je eigenen Art von Gott gerufen ist. Ich bin fest davon überzeugt, dass jeder einzelne Bruder einem Ruf gefolgt ist, den er, auf welche Weise auch immer, vernommen hat. Ich glaube, dass jeder Mensch einem Ruf folgt, einer inneren Sehnsucht, einer inneren Bestimmung. Dabei wirken aber auch äussere Umstände mit. Jede Berufung eines Menschen ist ein Gewebe von Sachzwängen, Eigenwillen, Lebensumständen, göttlicher Fügung. So vieles spielt da mit. Und nichts bleibt erspart…