courtesy
Bruder Egon Keller verbringt gerne viel Zeit in der Klosterbibliothek, die er nicht nur in Schuss hält, sondern auch eifrig nutzt.
Bruder Egon Keller verbringt gerne viel Zeit in der Klosterbibliothek, die er nicht nur in Schuss hält, sondern auch eifrig nutzt.

Leben im Kloster (12) – Bruder Egon Keller war der letzte Hausmissionar im Heiligkreuz St. Gallen, leitete ein Aufnahmestudio und traf als Gefängnis-Seelsorger auf den „Ausbrecherkönig“ Stürm.

Beatrice Oesch

Bruder Egon Keller ist der Bibliothekar im Kapuzinerkloster Wil, eine Aufgabe, die er noch immer mit Freude verrichtet. Gerade hat er wieder eine Bücherspende – etwa einen Laufmeter Bücher – katalogisiert und zum Einsortieren in den klostereigenen Bücherbestand vorbereitet. „Die wertvollsten Bände werden hinter Glastüren verschlossen aufbewahrt. Es sind im Handsatz hergestellte Exemplare, in Leder gebunden und mit Holzdeckeln versehen, und zum Teil auch handkoloriert“, erklärt Bruder Egon, während er eine Glastür zu den bibliophilen Schätzen des Klosters aufschliesst. „Ich lese sehr gerne und gehöre selbst zu den häufigsten Nutzern unserer Bibliothek“, meint er verschmitzt. Seine Stimme ist sehr leise; seit einem Aortariss 2004, den er wie durch ein Wunder überlebt hat, ist sein Kehlkopf verletzt. Seit jener Zeit, nach sechs Wochen im Koma und einer langen Genesungszeit im Rollstuhl, lebt Bruder Egon in Wil. Zu seinen weiteren Aufgaben hier gehören sein täglicher Gang auf die Post, sowie donnerstags die Mithilfe in der Küche.

Kindheit in Eschlikon
Bruder Egon verbrachte mit zwei Schwestern eine glückliche Kindheit in Eschlikon. „Mein Vater stellte Zahnstocher für Elefanten her“, scherzt er und präzisiert dann: „nämlich Telefonmasten!“ Nach seiner Matura im Kollegium in Appenzell trat er 1960 als Novize ins Kapuzinerkloster Luzern ein. Nach seiner Priesterweihe unterrichtete er ab 1967 für drei Jahre im Kollegium in Appenzell, anschliessend für sechs Jahre in Näfels in der Sekundarschule und dem Progymnasium, in den Fächern Religion, Mathematik und Zeichnen. „Einmal wurde mir von Eltern erzählt, dass die Kinder sich auf den Unterricht bei mir freuten, und das war für mich die schönste Bestätigung meiner Arbeit“, erinnert er sich lächelnd. Während rund vier Jahren war er der letzte in der Hausmission tätige Kapuziner im Heiligkreuz, St. Georgen und Bruggen. „Ich bemerkte oft schon bei der Begrüssung, ob die Leute ein Gespräch mit mir wünschten, und es kam hin und wieder zu negativen, oft aber auch zu sehr positiven Begegnungen.“ Die folgenden dreizehn Jahre verbrachte Bruder Egon in Brig.

Sudokus und Raclette
Im Kapuzinerkloster Brig wirkte Bruder Egon als Aushilfsseelsorger, Radioprediger im Lokalradio und leitete ein Aufnahmestudio. Ausserdem war er auch als Gefangenen-Seelsorger tätig. Damals betreute er den „Ausbrecherkönig“ Walter Stürm, den er als interessanten Gesprächspartner kennenlernte: „Ich konnte spüren, wie es in ihm kochte, doch damals unternahm er keinen Ausbruchversuch.“ Bruder Egon leitete Exerzitien und war Lehrer an der Landwirtschaftlichen Schule Visp. In jener Zeit baute er die in einem Brand zerstörte Klosterbibliothek von Brig neu auf. „Dann folgte meine Zeit in Spiez; während sechs Jahren war ich als Regionalseelsorger tätig und hatte ein riesiges Gebiet zu betreuen, so dass ich an manchen Wochenenden über 200 km zurücklegte“, erzählt Bruder Egon. Ausserdem war er damals Synodalrat, das ist die Exekutive des Kantonalen Kirchenparlaments Bern. Dieser turbulenten Zeit setzte sein Aortariss ein jähes Ende. Heute nimmt sich Bruder Egon gerne viel Zeit zum Lesen und für Sudokus. „Ausserdem esse ich gerne gut, vor allem Raclette!“ verkündet er mit einem Augenzwinkern.